04 März 2006

Vogelgrippe infiziert Journalisten

Wie bitter es sein kann, ungenügend auf die Anforderungen der Medien- und Informationsgesellschaft vorbereitet zu sein, hat Kerstin Kassner gespürt, die Landrätin von Rügen. Als in ihrem Sprengel der erste deutsche Geflügelpest-Virus auftrat, staunte die PDS-Politikerin über den Journalistenansturm. "Was hier mit den Medien abläuft, ist nicht zu begreifen", klagte sie mit Blick auf umherschwirrende Zeitungsleute, TV-Teams und Radioreporter.

Dabei war vorherzusehen: Die Medien verhalten sich in Zeiten der Geflügelpest nicht lieb wie Lämmer. Mit Auswüchsen ist zu rechnen. Auch wenn's traurig ist. So musste der Geflügelhof Kliewe in Mursewiek seine gut 2.000 Hühner und Enten offensichtlich nur deshalb töten, weil zu viele Journalisten ohne Seuchenvorkehrung über den Hof latschten. Der Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts für Tiergesundheit, Thomas Mettenleiter: "Das Problem ist, dass Journalisten sehr nahe an die toten Tiere herangehen und auch das Aufsammeln der Kadaver filmen, teilweise bis in die Kadaversäcke hinein."

Ein weiteres Problem: Die politische Inszenierung. Manch Landes- und Bundespolitiker zog zwecks Profilierung ganze Heerscharen von Berichterstattern hinter sich her. Rügener Katastrophentourismus der besonderen Art.

Doch Medieninszenierung hin oder her und egal, ob es einem passt oder nicht: Im Krisenfall geht alles ganz schnell und ganz heftig. Wer dann nicht weiß, was ihn erwartet, weil er weder gedanklich noch organisatorisch auf den Presseansturm vorbereitet ist, riskiert den Verlust der Meinungshoheit und den Vormarsch der Populisten. Das können Besserwisser von Konkurrenz, Politik oder aus den eigenen Reihen ebenso sein, wie die Pressearmada.

Journalisten sind meist darauf gepolt, in Schwarz-Weiß-Bildern zu malen ("bad news is good news"). So wird aus der schönen Ferieninsel Rügen über Nacht die "Todesinsel" (BILD).

Kassners dringendster Wunsch derzeit: "Rügen soll endlich aus den Nachrichten verschwinden." Es sind nur noch wenige Monate Zeit bis zur Feriensaison. Bis dahin muss das Image Rügens wieder zurechtgerückt werden - weitere mediale Sisyphusarbeit. Denn: Nun kommt die Krise nach der Krise. Und das gilt im Falle der Geflügelpest nicht nur für Rügen...

Quintessenz: Für Krisensituationen kann/soll/muss man sich auch in Kommunikationshinsicht präparieren.

Vogelgrippe - who cares?


Die näher kommende Vogelgrippe (korrekt: "Geflügelpest") hat nur große deutsche Unternehmen dazu veranlasst, Notfallpläne für den Fall der Ausbreitung auf den Menschen aufzustellen.[/IB] Laut Umfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vom Februar 2006 sind bei den 20 DAX-Firmen veilfach Verhaltensregeln aufgestellt, Medikamente gelagert und Grippeimpfungen empfohlen worden.

Nach Experteneinschätzung reichen die Vorbereitungen allerdings nicht aus. "Beim Mittelstand kommt das Thema jetzt erst an", zitiert dpa den Leiter Sicherheits- und Krisenmanagement beim Beratungsunternehmen Result Group, Christopher Schramm. Dabei könnten im Ernstfall ganze Geschäftsprozesse zum Erliegen kommen könnten. "Das geht schon damit los, dass die Mitarbeiter nicht mehr die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen."

Der Gesundheitsökonom Boris Augurzky vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) warnt, ein großflächiger Ausbruch ansteckender Krankheiten könne für Unternehmen schnell kritisch werden, besonders in einer eingespielten Kette von Zulieferern. Wenn deutschlandweit 300 000 Menschen in Krankenhäusern behandelt werden müssten und 100 000 Menschen stürben, ziehe dies volkswirtschaftliche Kosten von 25 bis 75 Milliarden Euro nach sich. Trotz dieses Risikos wird die Ausbreitung des Virus von den meisten Firmen bisher nur "beobachtet".

Was kann man tun? Ein paar Besipiele zum Nachdenken:

Bei BASF und Lufthansa haben sich nach internen Aufrufen deutlich mehr Mitarbeiter gegen Grippe impfen lassen.
Der Sportartikel-Hersteller adidas verbietet den Mitarbeuitern asiatischer Produktionsorte, lebendes Federvieh in die Fabrikküchen mitzubringen und dort zu schlachten.
Die Deutsche Bank hat ein weltweites Programm zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes, das auch bei Naturkatastrophen, Stromausfällen oder politischen Umstürzen greift.
Der Versicherungskonzern Allianz prüft unter anderem, wer von zu Hause aus arbeiten könnte.

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